Am 6. Februar ist meine Mutter gestorben. Meine Mutter litt unter der Krankheit ALS (Amyotrohphe Lateralsklerose), für die keine Heilung möglich ist.

die als icebucket challengeVielleicht hast du schon von der ALS Ice Bucket Challenge gehört? ALS ist eine sehr grausame Krankheit, deren Verlauf sehr individuell ist. Der Physiker Stephen Hawking leidet zum Beispiel an einer sehr langsam fortschreitenden Form von ALS (Erzählt in dem Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit„).  Bei meiner Mutter nahm die Krankheit eine extrem rasch verlaufende Form an, in der es kaum richtige Plateauphasen gab, sondern nur einen graduellen Prozess permanenter Verschlechterungen. Zu den ersten Anschaffungen gehörte das Atemschutzgerät.

Die ALS entwickelte sich in einem Affenzahn.

Innerhalb weniger Monate konnte sie nicht mehr laufen, das Essen wurde wegen der Schluckbeschwerden im Hals zur Qual, der Verlust des Sprechvermögens geschah innerhalb von 2 Monaten. Die ganze Zeit stand das Gespenst eines qualvollen Erstickungstodes im Raum, aber am Ende ist sie doch friedlich eingeschlafen.

Keine Angst vor Technik

Nur gut, dass meine Mutter keine Angst vor Technik hatte und wir noch bis fast zum Schluss mit einer Kommunikationshilfe auf dem Tablet miteinander kommunizieren konnten. Meine Mutter schrieb alles in eine App in dem dafür ausgerüsteten iPad (sagen wir eher: sie tippte es in mühevoller Kleinstarbeit ein), wo wir es dann lesen oder anhören konnten. Missverständnisse gab es trotzdem jede Menge und es war für jeden von uns (ich habe noch vier Geschwister) eine sehr harte Zeit.

Tracheotomie ja oder nein?

Meine Mutter hatte sich sehr lange nicht entscheiden können, ob sie die Durchführung einer Tracheotomie (Luftröhrenschnitt)  will oder nicht. Sie hat so gerne gelebt! Am Anfang der Krankheit war eine Tracheotomie OP durchaus noch eine Option, am Ende hat aber wohl nicht mehr. Meine Mutter hat nie mit der Krankheit an sich gehadert, aber Selbstbestimmung war ihr unglaublich wichtig und ein Wert. Doch  im Laufe der Krankheit musste sie immer mehr davon abgeben. Das hat ihr sicherlich sehr zugesetzt. Bei der Betreuung hat uns u. a. der ambulante Pallativdienst der Malteser zur Seite gestanden und von dort bekamen wir das tolle Angebot für eine Kunsttherapie für meine Mutter. Kunst und Kreativität waren ja ihr Lebenselixir. Die Kunsttherapie hat ihr dabei geholfen, ihren Frieden zu machen, sich bewusst gegen eine Tracheotomie zu entscheiden.

Von da an ging alles rasend schnell.

Wir haben die Patientenverfügung fertiggestellt und die  Verfügung für die Beerdigung besprochen. Lange wollte sie kein Morphium nehmen und nachdem sie sich dann dazu entschlossen hatte, hatte sie mit Übelkeit zu kämpfen und es ging ihr zunächst richtig schlecht, bis sie vernünftig medikamentös eingestellt werden konnte.
Als ich an einem Tag zu ihr kam, habe ich einen richtigen Schreck bekommen. Ein Teil ihrer Energie und Kraft war einfach weg, es fühlte sich so an, als fehle mindestens ein Drittel. Ich hatte mir da schon gedacht, dass es nicht mehr so lange dauert – aber natürlich war ich nicht darauf vorbereitet, wie schnell …

 

Meine Mutter als Teenager

Am 4. Februar bin ich einigermaßen beruhigt mit meiner Partnerin nach Berlin geflogen, wo dann am Samstagmorgen der Anruf kam. Wir sind an diesem Tag in Berlin in die Gedächtniskirche gegangen und haben dort eine Kerze für meine Mutter angezündet.

entwicklungstrauma trauer

Nachmittags, als ich mich hingelegt hatte, habe ich plötzlich ein inneres Bild gesehen: Meine Mutter als Teenager in einer Art Blase, wie sie tanzt und lacht und glücklich ist.  Am Sonntag sind wir gleich vom Flughafen auf dem schnellsten Weg an ihr Bett geeilt. Da liegt sie inmitten all ihrer Schätze. Es war eine so friedliche Atmosphäre im Zimmer, fast heilig.  Ich habe dort mit meiner Partnerin, meiner Schwester und ihrer Tochter gesessen, wir haben über und mit unserer toten Mutter geredet, das war schön und tröstlich. Zu diesem Zeitpunkt war ich eigentlich nur dankbar, dass es für sie vorbei ist, dass sie erlöst ist und nicht weiter leiden muss. Und auch, dass ich die Möglichkeit habe, auf diese Art Abschied zu nehmen. Abschiedsrituale haben bei Tod ihren Sinn. Wie sehr habe ich am nächsten Tag gemerkt, als die besten Freundinnen meiner Mutter kamen und an ihrem Bett Totenwache hielten, Anekdoten und Geschichten austauschten. Auch sie waren dankbar, so Abschied von meiner Mutter nehmen zu können. Für mich selbst ist es sehr tröstlich, dass ich mir die Fotos von meiner Mutter in ihrem Sterbebett ansehen kann.

auch die seele braucht ihre zeitAuch die Seele braucht ihre Zeit

Ich habe noch nie den Tod eines Menschen wirklich bewusst erleben. Als mein Vater in den 70ern starb, lebten meine Eltern schon jahrelang getrennt und sowieso wurde alles von mir ferngehalten. Diesmal habe ich also alles sehr intensiv und vor allen Dingen bewusst gespürt. Dass meine Mutter dort lag, aber irgendwie auch nicht mehr wirklich meine Mutter war. Wo war das andere, war es noch da?  Am Sonntag, also dem Tag nach ihrem Tod, nur diese friedvolle Atmosphäre in der Wohnung, ansonsten aber eine Leere und meine Mutter sah schon etwas anders aus. Am Montag, dem zweiten Tag, haben einige von uns sehr intensiv ihre Anwesenheit im Badezimmer gespürt (wir konnten sie sogar riechen) und sie selbst sah wieder so aus, als könnte sie gleich aufstehen und beginnen zu sprechen!  Mich hat das so getröstet, dass offenbar auch die Seele ihre Zeit braucht, um gehen zu können. Während wir ihre Wohnung ausräumten, hatten wir öfter das Gefühl, sie sieht uns über die Schulter, erst als die Wohnung leer geräumt war, war sie selbst auch ganz fort.

Wie Trauer sich anfühlt

Erst allmählich merke ich, in was für einem Stress sich mein Körper befindet: Ich mag nichts essen, der Körper aber läuft auf Hochtouren, ich schlafe schlecht. Wie Trauer sich anfühlt: Ich fühle mich wie ein Sack Blei, ich habe zu nichts mehr Lust, ich muss mich zu allem zwingen und es fühlt sich an, als dampfe Trauer aus all meinen Poren.

Irgendwo habe ich gelesen, dass sich unsere Gehirne verbinden mit den Gehirnen der Menschen um uns herum und dass es zu einer Art Entzugserscheinung kommt, wenn das nicht mehr möglich ist. Ich habe eine Kamera von meiner Mutter, mit der ich nicht zurecht komme. „Ich muss R. mal fragen, wie das funktioniert“ habe ich mir schon vorgenommen, gleich gefolgt von dem Erschrecken, dass es nun nicht mehr möglich ist … das wird sicher noch oft passieren.

Ebenso erstaunt merke ich, was mich alles tröstet und besänftigt in dieser Zeit. An der sehr schönen Beerdigungsfeier, die meine Geschwister und ich an einem eher ungewöhnlichen Ort gemeinsam gestaltet haben, haben unglaublich viele Menschen teilgenommen, andere haben geschrieben oder auf andere Weise Anteil genommen. Meine Partnerin ist nicht von meiner Seite gewichen und hat mir so Stärke und Kraft gegeben. Wir haben gemeinsam über der Urne unserer Mutter geweint, auch das war tröstlich … und die Taizé-Gesänge hallen immer noch in meinen Ohren nach wie Mantren …

Unbeschwert heiter

Meine Mutter war übrigens auch hochsensibel. Vor langer Zeit habe ich mich diesbezüglich geoutet, meine Mutter sagte dazu nur ganz flapsig, das wisse sie doch schon immer. Später hat sie sich dafür bei mir entschuldigt. Nachdem sie durch mich und meine Arbeit herausgefunden hatte, was Hochsensibilität eigentlich ist und dass sie selbst hochsensibel ist … Ob oder wie viel ihr das genutzt hat, weiß ich leider nicht. Sicher ist, dass meine Mutter als alleinerziehende Mutter mit 5 Kindern ein nicht immer leichtes, aber dennoch sehr erfülltes Leben geführt hat.

Wenn ich jetzt an meine Mutter denke, habe ich sofort, trotz all der Trauer und Schwere, ein Gefühl unbeschwerter Heiterkeit. Darum bin ich ganz sicher, es geht ihr gut. Manchmal habe ich auch das Gefühl, sie ist bei mir, ein wirklich tröstliches Gefühl … Was soll ich noch sagen? Ich bin sehr traurig, aber alles ist gut.

Herzliche Grüße, deine

Monika Richrath

P.S. Jahre später: Irgendwie bin ich total erleichtert, dass meine Mutter meine intensive Auseinandersetzung mit meinen belastenden Kindheitserfahrungen und Entwicklungstrauma nicht mehr mitbekommen hat (obwohl ich mir sehr bewusst bin, dass sie davon weiß, dort, wo sie jetzt ist und alles bedauert. Denn jetzt bin ich mehr mit ihr verbunden als zu irgendeiner Zeit, in der sie lebte). Aber es ist eine Tatsache, dass ich mich das gar nicht getraut hätte, in diese Materie einzusteigen, solange sie noch lebte. Ich hätte das wie einen Vorwurf gefunden, den ich ihr nicht machen wollte. Erst ihr Tod hat mir die Freiheit gegeben, dies zu tun.

 

Image by Ryan McGuire from Pixabay 

Image by S. Hermann & F. Richter from Pixabay

Image by Gerd Altmann from Pixabay 

 

author avatar
Monika Richrath
Ich bin Monika Richrath, Mentorin und Coach für EFT (Klopfakupressur). Seit 2012 schreibe ich hier sehr PERSÖNLICH über die Themen, Hochsensibilität, Gesundheit, Psychologie, EFT und (Entwicklungs)Trauma.
en_USEnglish