Introvertierte Menschen müssen nicht per se hochsensibel sein. Und hochsensible Menschen nicht unbedingt …introvertiert. Nichtsdestotrotz finde ich zur Erforschung der eigenen Hochsensibilität die Persönlichkeitsmerkmale von Introversion und Extraversion hochspannend. Für die eigene Entwicklung lohnt es sich ganz unbedingt sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Das Buch „Intros und Extros – wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren“ von Sylvia Löhken kam da gerade recht. Mir war schon nach kurzer Zeit klar, dass dieses Buch mein Leben verändern wird, meinen Blick auf mich selbst, meinen Blick auf mein Leben, die Welt und vor allen Dingen auf meine Partnerin und meine Beziehung. Denn gerade hier gerate ich, als introvertierter Mensch, mit ihr, einem extravertierten Menschen, ständig aneinander aufgrund vollkommen entgegengesetzter Bedürfnisse.
Sehr schön fand ich eingangs die Erklärung von Persönlichkeit, die laut Frau Löhken eben nicht nur durch das biologische Erbe und die Einflüsse der sozialen Umgebung entsteht, sondern auch durch den persönlichen Sinn, den man selbst seinem Leben verleiht – und der der Grund dafür ist, dass man auch völlig „artfremde“ Verhaltensweisen entwickeln kann. Ebenfalls sehr spannend: was unterscheidet Intros und Extros biologisch voneinander?
Wir sind aufgefordert uns allerlei Gedanken zu machen über unsere introvertierten Stärken (z. B. Ruhe, Vorsicht, Einfühlungsvermögen, Substanz, Unabhängigkeit, Beharrlichkeit) und Hürden (z. B. Angst, Passivität, Verkopftheit, Kontaktvermeidung, Überstimulation) – oder über unsere extravertierten Stärken (z. B. Mut, Begeisterung, Schnelligkeit, Tatkraft, Zuwendung, Flexibilität) und Hürden (z. B. Leichtsinn, Oberflächlichkeit, Ungeduld, Selbstinszenierung, Selbstvermeidung, Ablenkung). Schon alleine das hat bei mir für Verwirrung gesorgt, hielt ich mich bislang doch für die Introversion in Person, nun habe ich aber durchaus extravertierte Stärken bei mir entdeckt, die mir vorher so gar nicht bewusst waren. Übrigens gibt es ein eigenes Kapitel für sog. Zentros (diejenigen, die sowohl über die Merkmale der einen, als auch der anderen Gruppe verfügen).
Im 2. Teil geht es um die Intro-Extro Unterschiede in der Praxis in typischen Bereichen des täglichen Lebens. Diese sind allerdings zum großen Teil auf berufliche Situationen bezogen, können natürlich aber auch auf private Situationen übertragen werden. Hauptsache, die eigenen Ziele passen zur Persönlichkeit. Extrem gut hat mir das Kapitel über Sport gefallen. Jetzt weiß ich endlich, warum Schwimmen und Nordic Walking die perfekten Sportarten für mich sind: es passt gut zur Tatkraft und zu meinem Bewegungsdrang und ich kann beides allein machen – und ich weiß, warum Feldenkrais das Schlimmste für mich ist: still auf einer Matte liegen – da dreht meine Tatkraft vollkommen durch …
Die beruflichen Situationen beziehen sich auf Führen, Verkaufen, Lehren und Lernen. Zugegebenermaßen war ich zunächst etwas unwillig beim Lesen, aber schon bald habe ich gemerkt, dass lauter Filme in meinem Kopf abliefen, von Situationen, die ich aus der einen oder anderen Position erlebt habe. Es lohnt sich also, aufmerksam dabei zu bleiben. Dank des Kapitels über verkaufen weiß ich nun, warum meine Partnerin, wenn wir ein Geschäft betreten, sofort auf einen Mitarbeiter zusteuert, während ich mich scheue, jemanden anzusprechen und mich lieber selbst umsehe (auch wenn es bedeutet, dass ich eine ganze Weile herumsuchen muss).
Nicht zuletzt geht es ja in „Intros und Extros“ darum, dass wir lernen, uns selbst UND die anderen besser zu verstehen und wie wir unsere Unterschiede zu unserem beidseitigen Nutzen einsetzen, anstatt gegeneinander zu kämpfen. Ich empfand das als unglaublich lohnend und nützlich. Wenn ich überlege, was ich warum gut kann und was nicht und was ich verändern könnte, um mir das Leben zu erleichtern, dann muss ich mich immer auch damit beschäftigen, was ICH BRAUCHE, um mich wohl zu fühlen und was ich dazu tun kann, damit ich es bekomme. Und schlussendlich habe ich auch einen besseren Blick auf die Bedürfnisse meiner extravertierten Partnerin, an denen ich mich dann weniger stoßen muss … Statt dessen kann entweder jede für sich oder beide gemeinsam überlegen, wie wir uns arrangieren, damit möglichst beide zu ihrem Recht kommen.
Anfangs fand ich die Gegenüberstellung oder Abgrenzung etwas anstrengend, aber letzten Endes hat sie mir dabei geholfen, mich selbst besser zu sehen. Geärgert hat mich nur eine Kleinigkeit: die Hinweise auf andere Literatur (damit meine ich nicht die Literaturhinweise im Anhang). Bei mir ist der Eindruck entstanden, ich muss noch 7 weitere Bücher lesen, auf die hier ganz besonders hingewiesen wird. Dabei ist „Intros und Extros – wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren“ an sich rund und stimmig und wird von mir vorbehaltlos weiterempfohlen.
Frau Löhken betreibt übrigens zu dem Thema den Blog Zwischen Menschen.
Intros und Extros „Wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren“ Sylvia Löhken, Gabal Verlag, ISBN 978-3-86936-549-7
Herzlichst, Ihre
Monika Richrath
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