Extrawurst

Extrawurst

Manchmal hadere ich mit meiner Hochsensibilität. Zum Beispiel, wenn ich das Gefühl habe, ich brauche immer eine Extrawurst – eine Situation, die zu meinem Leidwesen ziemlich häufig vorkommt.

Möglicherweise sind solche Situationen von außen betrachtet leicht schräg.

Es beginnt damit, dass mir jemand etwas anbietet, meist zu essen, eine kleine Süßigkeit, wie eine Praline oder ein Bonbon. Das ist immer Stress.

Meine erste Frage lautet dann immer (wenn ich es nicht genau weiß): „Ist da Zucker drin?“ Meist ruckt die Tüte oder der Teller dann noch etwas näher in meine Richtung, mit der fröhlichen Antwort „Nein.“ Dann muss ich sagen „Dann leider nicht“ – was sowieso schon schwer zu sagen ist, weil es eben nicht die erwartete Antwort ist. Manchmal (je nach Verfassung) sage ich noch zur Erklärung „Von Süßstoff wird mir schlecht.“ oder „Ich vertrage keinen Süßstoff.“

In diesem Augenblick fühle ich mich nie gut.

Es tut mir so leid, dass ich ein kleines Geschenk ablehnen muss. Ich habe das Gefühl, ein Verbindungsangebot abzulehnen, was überhaupt nicht meine Absicht ist. Sowieso ist das mal wieder typisch hochsensibel:

ich mache mir einen totalen Kopf

über eine ganz kleine Sache, an die die die meisten anderen Menschen keine Gedanken verschwenden. Das Schräge daran ist:

meine Ablehnung ist eine mühsam erkämpfte Errungenschaft.

Früher (und selbst heute kommt das zu meinem Leidwesen immer wieder vor), habe ich nämlich meistens auf meine Extrawurst verzichtet – eben um der Verbindung willen. Da ich sehr viele Nahrungsmittelunverträglichkeiten habe, passierte es im Grunde genommen sehr häufig, dass ich so Dinge zu mir nahm, die meinem Körper nicht sehr zuträglich waren. Aber ich war bereit, für diesen kurzen Moment der Verbindung den ganzen restlichen Tag mit einem Blähbauch herumzulaufen, supernervös zu sein oder mich sonst in irgendeiner Form unwohl zu fühlen. Ich war schlicht und einfach nicht in der Lage, mich abzugrenzen, auch in diesem kleinen, für mich sehr wichtigen Bereich, nicht. Ein Bonbon ist eben nicht nur ein Bonbon.

Nicht normal

Ganz abgesehen davon, dass jedes Mal, wenn mir etwas angeboten wird, sich irgendwie im Hinter (oder Vorder-?)grund etwas öffnet, als würde ich auf eine Szene in einem Theaterstück sehen, mit den Beteiligten als Darstellern. Das Stück heißt Normalität. Und alle anderen (meist findet das ganze in Gruppensettings statt), sind eben normal und können das Angebotene essen, nur ich nicht. „Ich bin eben nicht normal.“ Auch wenn ich weiß, dass das totaler Unsinn ist, und dass Normalität, so wie ich sie mir vorstelle, überhaupt nicht existiert, sondern nur eine Vorstellung in meinem Kopf und anderen Köpfen ist, schaffe ich es irgendwie nicht, diese Vorstellung abzulegen. Vielleicht sollte ich das mal klopfen, das wäre sicherlich sehr lohnend. Jedenfalls eine schöne Idee für ein neues Klopfvideo.

Vielleicht hatte es auch noch mit einer anderen Verhaltensweise zu tun, die ganz typisch für HSP ist:

Das Befinden anderer Menschen wichtiger einzustufen als das eigene.

Was war schon ein Abend Unwohlsein, wenn ich dafür niemanden gefühlt zurückweisen musste?

Das Bedürfnis nach Verbindung ist ja kein Bedürfnis, das nur HSP empfinden, es ist eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse überhaupt. Ohne Verbindung mit anderen können wir uns nicht richtig entwickeln. Ich glaube, dass viele hochsensible Menschen sich mit der Ablehnung eines Verbindungsangebotes eher schwer tun, weil Verbindung selbst ein äußerst schwieriges Thema ist.

Das Gefühl anders zu sein, nicht in Ordnung,

schräg, zu komisch, überempfindlich usw., das viele hochsensible Menschen schon von Kindesbeinen an erfahren, führt häufig dazu, dass wir die Sicht der anderen auf uns selbst übernehmen. Dabei leidet nicht nur unser Selbstwert und unsere Selbstachtung. Wenn wir uns oft oder dauernd als anders als die anderen erleben, führt das oft zu einem Gefühl der Isolation, wir halten uns nicht für liebenswert, wir erleben uns nicht als mit anderen verbunden und in der Welt aufgehoben.

Außerdem haben sehr viele hochsensible Menschen ein sehr genaues Empfinden für soziale Interaktionen und ihre Bedeutung. Von daher ist es kein Wunder, dass ich mich so furchtbar schwer damit tue, ein Bonbon abzulehnen, das ich besser nicht annehmen sollte.

Verbindung zu mir

Im vergangenen Jahr ist sehr viel passiert. Die Arbeit mit meinen KlientInnen wirkt sich auf die eine oder andere Weise immer auch auf mein eigenes Leben aus. Außerdem klopfe ich selbst natürlich auch immer noch auch meine eigenen Themen.

Allmählich beginne ich ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass mein Verhalten, kleine Geschenke anzunehmen, weil ich es aus den o. g. Gründen einfach nicht über mich bringe, sie abzulehnen, mir unglaublich schadet, auf ganz vielen Ebenen, nicht nur auf der körperlichen. Denn jedes Mal, wenn ich etwas annehme, was ich nicht vertrage, verlasse ich mich selbst, gehe ich aus der Verbindung zu mir und meinem Körper heraus. Und: Ich kann keine gute Verbindung aufbauen zu anderen, wenn ich keine gute Verbindung zu mir habe. Und wenn der Preis der Verbindung zu jemandem ist, dass ich die Verbindung zu mir vollkommen verliere … dann stimmt einfach etwas nicht. Aber zum Glück lässt sich daran ja arbeiten …

Kennen Sie solche Situationen? Wie gehen Sie damit um? Wie immer freue ich mich über Ihre Kommentare.

Herzliche Grüße,
Ihre
Monika Richrath

Bildquelle: Pixabay

Wie ich meine Seelenwünsche entdeckt habe

Wie ich meine Seelenwünsche entdeckt habe

Noch vor wenigen Jahren wäre ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, mich mit meiner Seele zu beschäftigen. Erst recht nicht mit ihren Bedürfnissen. Das hatte für mich einen abgehobenen und esoterischen Beigeschmack, damit wollte ich lieber nichts zu tun haben. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es vielen hochsensiblen Menschen ähnlich geht, weil viele von uns  sehr kopfgesteuert sind und sich nur auf „Beweise“ verlassen (am besten auf solche, die von der Wissenschaft erbracht werden).

Für mich hat sich in den letzten Wochen viel verändert. Ganz besonders in Sachen Seelenbedürfnisse.

Als Kind hatte ich den innigen Wunsch zu zeichnen

und ich hatte meistens auch eine genaue Ahnung davon, wie das, was ich zeichnen wollte aussehen sollte. Leider sah es nie so aus. Meine Zeichnungen sahen eben wie Kinderzeichnungen aus. In meiner Parallelklasse, die mit uns zusammen Kunstunterricht hatte, gab es einen Jungen, der Wahnsinnsportraits zeichnen konnte. So, wie ich hätte gerne zeichnen wollen. Menschen. Menschen, die so aussahen wie wirkliche Menschen. In jeder Kunstunterrichtsstunde bin ich fast gestorben vor Stress, Bewunderung und Neid. Wahrscheinlich hat sich bei mir da auch der Glaubenssatz eingenistet, dass man Talent haben muss, um gut zeichnen zu können. Daran mangelte es mir ganz offensichtlich. Ich begrub diesen Wunsch und wandte mich anderen Dingen zu.

Erste Zeichnung von Monika RichrathAb und zu tauchte dieser Wunsch wieder auf

und ich erinnere mich daran, dass ich später noch verschiedene Zeichenversuche unternahm, aber mit anderen Objekten. Zum Beispiel habe ich im Rahmen eines Kurses für Kinder Statuen gezeichnet, Kapitelle in einer Kirche und Säulen und ein paar Jahre während eines Urlaubes auf Sylt ein paar Landschaftsaufnahmen von Fotos abgezeichnet. Ich fand sie selbst ganz gelungen, erinnere mich aber nicht mehr ob ich mich getraut habe, die letzteren überhaupt anderen Menschen zu zeigen. Danach ging unglaublich viel Zeit ins Land. Jahrzehnte über Jahrzehnte, in denen meine Beziehung zu Kunst hauptsächlich darin bestand, in Ausstellungen zu gehen und mir die Kunst anderer Menschen anzusehen. Und in all dieser langen Zeit ist in mir immer wieder der Wunsch aufgetaucht

Ich will Menschen zeichnen

sehr, sehr hartnäckig. Immer wieder fielen mir jene letzten Zeichnungen ein, die ich gemacht hatte und die mir selbst gefallen hatten. Vielleicht war ich gar nicht so talentlos wie ich glaubte? Vielleicht brauchte ich einfach nur Übung? Also kaufte ich mir ein dickes Buch darüber, wie man Menschen zeichnet und legte voller Enthusiasmus los. Schon bald musste ich aber feststellen, das es trotzdem immer noch nicht so einfach war. Das erste Bild gefiel mir. Alle anderen nicht. Ich war nicht in der Lage, meinen Zeichnungen einen Ausdruck zu verleihen, sie erstarrten in grässlichen Fratzen …

Entmutigt gab ich auf

– aber nur halbwegs. Vielleicht brauchte ich so etwas wie Unterricht? Hatte ich denn nicht neulich im Supermarkt auf dem schwarzen Brett eine Telefonnummer gesehen? Die hing da auch noch. Und ich trug sie ein volles halbes Jahr mit mir herum, weil es mir nicht sicher erschien, zu einer mir unbekannten Person nach Hause zu gehen. Dann lernte ich die Künstlerin Johanna Kinast auf einem Event persönlich kennen. Ich glaube auch, dass der Tod meiner Mutter im Februar 2016 eine Rolle gespielt hat. Mein Bedürfnis zu zeichnen wurde irgendwie immer dringender. Im November 2016 ging ich zum ersten Mal recht nervös zu meinem Kunstkurs, der sich für mich als ideal herausgestellt hat, weil er mir alle Freiheiten lässt. Ich entscheide selbst, was ich wie zeichne und nur, wenn ich nicht weiterkomme mit einer Sache, frage ich die Künstlerin um Rat. Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt

Menschen zu zeichnen macht mich einfach glücklich.

Das ist für mich Auszeit pur. Ich als Mensch löse mich vollkommen auf im Prozess der Kreativität, tauche ab oder verbinde mich mit oben und das ist einfach herrlich. Meistens zeichne ich Portraits von Postkarten von Gemälden ab. Das ist ungemein spannend. Manchmal tauchen auf meinem Papier Menschen auf, von denen ich weiß, das ich sie von irgendwoher kenne oder die mir bekannt vorkommen. Das Buch ziehe ich übrigens nur noch dann und wann zu Rate. Wie sich zeigt, ist das Zeichnen auch eine Sache der Übung. vor zwei Wochen ist es mir zum ersten Mal gelungen, der Person auf meiner Zeichnung das gleiche Alter zu verleihen wie der Person meiner Vorlage. Yippieh! Die anderen Menschen in dem Kurs malen übrigens zum meistens Aquarelle. Daran habe ich mich auch einmal versucht, das hat mir auch Spaß gemacht, aber ich habe gemerkt, das ist es einfach nicht für mich. Diese sehr innige Verbindung nach irgendwohin hat sich nicht eingestellt. Natürlich wollte ich es auch probieren, weil ich mal wieder Schwierigkeiten damit hatte, anders zu sein als die anderen, aus dem Rahmen zu fallen. Hochsensibilität lässt grüßen. Ich habe dann aber ganz vernünftig mit mir gesprochen. Mein Wunsch ist es, Menschen zu zeichnen – und später mal (wenn ich von den Menschen die Nase voll habe), Landschaften. Das steht schon fest. Wenn ich in diesen Kurs gehe, dann um zu zeichnen. Sonst hat es keinen Zweck. Es ist übrigens gar nicht wichtig, dabei ob ich nun wirklich jede, jede Woche zu meinem Kurs gehe und eine Zeichnung mache oder nicht. Das wichtige ist es, langfristig dran zu bleiben, dafür zu sorgen, dass mein Wunsch einen Rahmen hat. Denn wenn ich es zuhause alleine machen möchte, mache ich es eben doch nicht. Das kennen Sie bestimmt selbst auch.

Warum ist das Zeichnen nun ein Seelenwunsch?

In den letzten Monaten war bei mir einiges los, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ging es ganz schön hoch her. Durch die Arbeit mit meinen Klienten und Klientinnen und meine eigene Auseinandersetzung mit mir habe ich verstanden, dass

das wichtigste am Menschsein ist der Ausdruck unserer selbst.

Ok, das klingt jetzt ein bisschen gestelzt. Einfacher: Wir müssen einfach nach außen bringen, was in uns ist.

Das ist unsere Lebensaufgabe

oder zumindest ein Teil davon. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Wir müssen uns ausdrücken. Wenn wir das nicht tun, zum Beispiel unsere Gefühle nicht ausdrücken,  werden wir krank oder entwickeln chronische Schmerzen usw. Es wäre natürlich auch eine ganz spannende Frage, ob sich Hochsensibilität in Seelenbedürfnissen ausdrückt, bzw. ob hochsensible Menschen besondere Seelenbedürfnisse haben? Was mich selbst angeht, arbeite ich gerade an einem neuen Buch zum Thema Schlafstörungen. Im Zuge meiner Recherchen habe ich dabei mein Leben zwar nur in wenigen Dingen, dafür aber ganz entscheidend verändert, so dass ich wieder einen besseren Blick auf meine eigenen Bedürfnisse habe und mir selbst wieder näher gekommen bin. Und so ist mir klar geworden, dass dieses innige Bedürfnis zeichnen zu wollen, ein Seelenbedürfnis sein muss, denn es begleitet mich schon fast mein ganzes Leben. Und dass auch meine Tanzlust ein Seelenbedürfnis ist, dem ich jetzt mehr und mehr wieder nachgehe. Und je mehr ich tanze, umso mehr Lust zum Tanzen habe ich und umso glücklicher bin ich. Genauso, wie ich immer mehr Lust zum Zeichnen habe, je mehr ich zeichne. Ich glaube übrigens,

Seelenbedürfnisse sind nur für einen selbst

wichtig. Ich denke, es ist gerade die Hingabe an die Selbstentfaltung, die uns so glücklich macht. Ganz ohne Stress. Wenn Sie nicht wissen, was Ihre Seelenbedürfnisse sein könnten, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich Gedanken darüber zu machen, was Sie vielleicht schon als Kind geliebt, aber begraben haben. Es gibt ja den wunderschönen Spruch, dass man nie zu alt ist für eine glückliche Kindheit …

Welche Seelenbedürfnisse haben Sie? Gehen Sie Ihnen nach? Wie immer freue ich mich über Ihre Kommentare. 

Herzliche Grüße,

Ihre Monika Richrath

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