Letzte Woche bin ich auf dem Weg von meiner Praxis nach Hause mit dem Fahrrad in einen richtig heftigen Regen geraten. Zugegebenermaßen hatte es schon vorher nicht gerade gut ausgesehen, aber ich war äußerst motiviert, mich wieder einmal ordentlich zu bewegen, habe ein Regencape fürs Fahrrad eingesteckt und es gewagt. Und darum stand ich ein paar Stunden später tropfnass wie ein großer Zwerg in einem Drogeriemarkt und fühlte mich so richtig bescheuert.
Ich hatte es geschafft, meine Sachen einzukaufen, ohne mit anderen Menschen zusammenzustoßen und sie nass zu machen. Aber dafür hatte ich meinen Rucksack ausziehen müssen, um das Portemonnaie herauszuholen und meine Einkäufe einzupacken. Den Rucksack wieder anzuziehen hatte auch geklappt. Aber dann stand ich ziemlich hilflos da. Ein Blick durch das Fenster zeigte mir, dass der Regen an Intensität eher noch zugenommen hatte. Und ich bekam das blöde Regencape einfach nicht über den Rucksack. Dazu hätte ich besondere körperliche Fertigkeiten besitzen müssen.
Da stand ich nun mit meinem Regencape. Der Vergleich mit einem großen Zwerg war sicherlich nicht so weit hergeholt, außer Kapuze und diesem heillos verhederten Umhang war nicht allzuviel von mir zu sehen. Ich geriet total in Stress.
Ich fühlte mich furchtbar, schutzlos, lächerlich, preisgegeben.
Wie mir schien, eine Ewigkeit lang. In Wahrheit waren es bestimmt nur ein paar Sekunden, in denen ich vollkommen in meiner schrecklichen Wahrnehmung verschwand.
Aber dann macht etwas PENG in meinem Kopf
und ich wachte auf. Ich konnte doch nicht hier so stehen bleiben. Die Fahrt bei Regen hatte dafür gesorgt, dass ich trotz des Capes pitschnass geworden war. Und ich musste nach Hause, unter die Dusche und etwas Trockenes anziehen.
Als hätte jemand einen Hebel umgelegt
um die Prioritäten zu ändern. Und die Priorität war, dass jemand mir dabei helfen musste, mein Cape zu richten. Schließlich wollte ich nicht, dass es mir auf dem Fahrrad über den Kopf flog. Ich musste jemanden um Hilfe bitten. Also drehte ich mich um und sprach eine junge Frau an, die den Laden gerade betreten hatte, ob sie mir vielleicht das Cape über den Rucksack ziehen könnte? Natürlich hat sie mir geholfen, gar keine Frage. Sie zupfte hier und dort und obwohl ich mich so absolut albern fühlte, musste ich dann doch lachen und alles war gut. Ich habe mich bedankt und den Laden verlassen.
„Wow“, habe ich draußen gedacht
„früher hätte es früher nicht gegeben“
„früher wärst du einfach mit diesem halb um dich gewickelten nassen Cape so nach Hause gefahren, einfach geflüchtet, hättest nicht deine Lächerlichkeit ertragen und schon gar nicht um Hilfe gebeten. Du hast wirklich einen weiten Weg zurückgelegt!“ Und ich habe mir selbst anerkennend in Gedanken auf die Schulter geklopft.
Und das schöne ist, dass diese schreckliche Situation in meinem Kopf nun eher als etwas Lustiges gespeichert ist. Aber ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, einmal etwas über Sozialphobien zu schreiben.
Eine soziale Phobie oder auch soziale Angststörung
zeichnet sich dadurch aus, dass man fürchtet in Situationen mit anderen Menschen im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und sich beschämend oder peinlich zu verhalten. Du siehst also, warum diese Situation das bei mir getriggert hat.
Ich bin ziemlich sicher, dass ich
früher unter einer sozialen Angststörung gelitten habe
(sonst hätte das mit dem Triggern ja auch nicht so gut geklappt). Zum einen hat man sich aber früher mit solchen Dingen weniger auseinandergesetzt, zum anderen hat das auch niemand bemerkt. Als Kind ließ ich andere Menschen kaum an mir teilhaben. Meine Mutter hat gesagt, dass man mich meistens nur von hinten sah …
Die soziale Phobie wurde zwar schon 1903 durch einen französischen Psychiater beschreiben, aber erst 1966 durch die Psychiater und Verhaltenstherapeuten Isaac Marks und Gelder in einer modernen Form beschrieben und es dauerte noch bis 1990, bis die soziale Phobie in das internationale Diagnoseschema, dem ICD-10, aufgenommen wurde (dort ist sie klassifiziert als Diagnose als F40.1 soziale Phobien).
Soziale Phobien entwickeln sich in der Kindheit und Jugend,
von daher haben belastende Kindheitserfahrungen eine unglaubliche Auswirkung auf das ganze weitere Leben und ich sehe außerdem ganz klar einen Zusammenhang mit dem Thema Hochsensibilität. Soziale Phobien entwickeln sich nämlich aus einer bestimmten seelischen Verwundbarkeit (Vulnerabilität) heraus, für die hochsensible Menschen geradezu prädestiniert sind.
Kommen dann noch Eltern hinzu, die entweder überbehütend sind, starke Kontrolle ausüben und zu wenig emotionale Zuwendung in der Kindheit geben (ich glaube, das ist das schlimmste überhaupt), können Kinder und Jugendliche einfach kein gutes Selbstvertrauen aufbauen, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie immer nur Negatives über sich zu hören bekommen.
Bei hochsensiblen Menschen ist das sehr häufig der Fall,
denk nur einmal an die Sätze, mit denen du groß geworden bist „Stell dich nicht so an“, „Du bist so komisch“, „sei nicht so empfindlich“ usw. Solche Sätze hast du bestimmt auch schon gehört. Wo soll denn da das Selbstvertrauen herkommen?
Natürlich können auch noch andere Umstände ins Spiel kommen. Zum Beispiel,
wenn wir traumatische Erfahrungen gemacht haben,
mit denen wir alleine blieben. Oder wenn unsere Eltern selbst sehr ängstlich waren. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass wir die Ängste der Eltern übernehmen und später unsere liebe Mühe damit haben, diese Ängste loszuwerden. Kurz und gut, in einer Kindheit, in der es uns nicht nur an Zuwendung, innerer Sicherheit und Geborgenheit gefehlt hat, sondern auch an Zuspruch, Ermutigung und Liebe, fehlt der gesunde Nährboden, um mit emotionalen Verletzungen umgehen zu können.
Dies kann zu einer Angst vor Ablehnung und Kritik führen
und sich dahingehend weiterentwickeln, dass man Situationen meidet, in denen man überhaupt kritisiert werden könnte. Oder auch Situationen, in denen man befürchten muss, sich unpassend zu verhalten. Durch die permanenten schlechten Erfahrungen mit anderen Menschen hat man dann nicht nur kein positives Gefühl für sich selbst, sondern häufig auch eine vollkommen verzerrte Wahrnehmung der Situation. Siehe mein eigenes Beispiel, das ich oben beschrieben habe.
Ich hatte als Kind wirklich Angst vor anderen Kindern (abgesehen von meinen Geschwistern). Ich empfand sie als total unberechenbar und gemein und ich fühlte mich ihnen immer hoffnungslos unterlegen. In jeder nur denkbaren Hinsicht. Und es gibt Erfahrungen, bei denen ich mich auch heute noch vor Scham winde, wenn ich mich an sie erinnere.
„Du stinkst!“
Zum Beispiel gab es in der Grundschule einen Jungen, der mit mir immer nur sprach, indem er sich den Arm mit der Hand vor den Mund hielt und behauptete, ich würde stinken. Ich weiß nicht, wie er darauf kam, so etwas zu sagen, bei uns wurde täglich abends gebadet. Manchmal frage ich mich, ob ich vielleicht Mundgeruch hatte, ich war ja ein sehr gestresstes Kind und hatte oft „Bauchschmerzen“. Andererseits hatte niemand sonst etwas Diesbezügliches zu mir gesagt. Und doch hat sich das scheinbar unlöschbar in mein Gehirn gebrannt. (Ich sollte das wohl mal klopfen …)
Apropos klopfen: das wirklich Tolle an meiner Erfahrung vor ein paar Tagen ist, dass ich so dazu gekommen bin, noch einmal meinen Lebensweg zu würdigen, den ich zurückgelegt habe. Es ist ein wirklich weiter Weg. Und obwohl, wie gesagt, immer noch Reste meiner sozialen Ängste vorhanden zu sein scheinen, habe ich es geschafft, damit fertigzuwerden. Manchmal gebe ich ja auch Seminare. Dies bedeutet, ich stehe das ganze Wochenende vor einer Gruppe Menschen, die ich vorher nicht kannte und spreche mit ihnen. Das ganze Wochenende stehe ich als Referentin also meistens im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit in einer möglichen Kritiksituation. Und weißt du was? Ich freue mich darauf und genieße es!
Ich schreibe es einzig und alleine der Klopfakupressur bzw. EFT und meiner eigenen Beharrlichkeit zu, dass ich es geschafft habe, dorthin zu kommen … und darum gebe ich das auch so gerne an andere weiter.
Ist soziale Angst auch ein Thema für Dich? Ich freue mich, wenn du mir schreibst.
Von Herzen,
Ich habe im Netz einen Test für dich gefunden, der dir vielleicht eine Vorstellung davon vermitteln kann, ob du unter einer sozialen Phobie leidest.
Sehr spannend. Ich erkenne mich wieder und auch diese Hilflosigkeit aber dennoch habe ich mich alleine aufrecht gerappelt und bin stolz darauf. Danke für den Artikel. Auch ich stehe immer mehr meine Frau vor anderen und es fühlt sich gut an.
Vielen Dank, liebe Nina. Ist doch gut, dass soziale Phobie etwas ist, was man überwinden kann, oder? Herzliche Grüße, Monika
Danke Monika,wieder einmal, wie so oft bei deinen Beiträgen, kommt er zum richtigen Zeitpunkt.
Sehr gut!!! Auch ich kann ebenfalls berichten,dass die soziale Phobie, von der ich seit ca 40 betroffen bin , deutlich besser geworden ist……da spielt das Klopfen eine ganz große Rolle. Egal ob im Akuten Fall,oder ob ich ganz bewusst das Thema ( und die damit verbundenen Einschränkungen klopfe)
Es hat mir ganz enorm geholfen.
Keep on tapping
Gerne Pia 🙂 Das Klopfen hört nie auf 😉 Liebe Grüße, Monika