Scham spielt in der Hochsensibilität eine große Rolle

Selbst geschrieben und selbst erdacht :-))

Was ist Scham?

von Monika Richrath

6. März 2022

Bislang habe  ich mich kaum jemals wirklich mit Scham auseinandergesetzt. (Dabei hatten mir schon verschiedene Menschen, z. B. einmal ein Chefarzt in einer psychosomatischen Klinik) auf den Kopf zugesagt, dass Scham für mich ein wichtiges Thema sei, ohne das jedoch näher zu spezifizieren.

Meine eigenen Gefühle zu Scham sind eher chaotisch und wechselhaft. Ich hatte natürlich keine Ahnung gehabt, was dieser Chefarzt denn wirklich meint. Erst als ich begonnen habe, mich mit Hochsensibilität und belastenden Kindheitserfahrungen, also Entwicklungstrauma, auseinanderzusetzen, ist mir so nach und nach gedämmert, dass ich mich

den Großteil meines Lebens permanent geschämt habe,

dass die Scham sozusagen Dauergast war. Eine Sache, für die ich mich schon mein ganzes Leben schäme eigentlich ist, dass ich nicht so essen kann, dass das Essen nur im Mund landet. Es landet eher immer überall. Ich weiß auch nicht, wie das geht. Deswegen kaufe ich nur noch ganz selten weiße Oberteile (obwohl ich die so gerne trage), weil sie immer ganz schnell Flecken bekommen …

Mittlerweile habe ich aber verstanden, dass das Ungeschickt-sein eine Traumafolge ist. Das hat mit der Koordination der Gliedmaßen zu tun, die durch permanenten Stress beeinträchtigt sein kann. Da schreibe ich auf jeden Fall mal einen extra Beitrag zu.  Ich habe auch verstanden,  dass in meiner letztenBeziehung, die mich animiert hat, über Trauma in Liebesbeziehungen zu reflektieren und zu schreiben, Scham eine ganz große Rolle spielte. Meine Partnerin war ja gelernte Hauswirtschafterin ist regelmäßig mir gegenüber entgleist, wenn ich was in ihrem Haushalt gemacht habe.

Vielleicht ist es also meinem geschärften Bewusstsein über Entwicklungstrauma zuzuschreiben, dass mir eines Tages der Gedanke kam, dass der Intensivkurs ohne ein Modul über Scham nicht vollständig ist. Sicher ist es kein Zufall, dass dieses Thema sich mir erst relativ spät geöffnet hat,  denn die Scham ist wirklich im Bodensatz.

Scham ist ein Gefühl, das ganz in der Tiefe verborgen ist.

Scham ist, wie ich gerade gelernt habe, das am niedrigsten schwingende Gefühl.

Und bitte denke daran, falls du merkst, dass dich hier etwas triggert, die Handkante oder den Schlüsselbeinpunkt zu klopfen, oder einen anderen Punkt deiner Wahl, der für dich besonders gut wirkt.

Obwohl wir Scham so gut kennen und es sicherlich viele, viele Dinge gibt, für die jeder sich schämt, wissen wir doch kaum etwas darüber, was es wirklich für ein Gefühl ist. Nur, dass es ein furchtbares Gefühl ist.

Ich habe mich gefragt,

ob Hochsensibilität an sich immer mit Schamgefühlen verbunden ist

und ob die Scham von dem Gefühl herrührt, „nicht in Ordnung“ zu sein?

Erst einmal habe ich im Internet recherchiert, wie Scham definiert wird: Auf Wikipedia habe ich gefunden: „Auslöser für Schamgefühle können innerseelische Vorgänge sein, wie zum Beispiel der Eindruck von Peinlichkeit oder Verlegenheit, aber auch die Bloßstellung oder Beschämung durch andere Menschen in Form von Demütigungen oder Kränkungen.“

Mir erscheint das eine sehr unzureichende Beschreibung für so

ein intensives und zersetzendes Gefühl.

Bei meinen Recherchen bin ich auf das Buch „Scham – die vielen Facetten eines tabuisierten Gefühls“* des französischen Neurologen Boris Cyrulnik gestoßen. Er hat selbst ein großes Thema mit Scham, weil er den Holocaust als „verstecktes Kind“ überlebt hat, also niemals sagen durfte, wer er wirklich ist. Über das Buch schreibe ich auch noch mal extra.

Scham wird z. B. erzeugt durch die Kluft zwischen der Vorstellung, die wir von uns selbst haben und der Wirklichkeit. In meinen 30ern hatte ich einen Minirock, zu dem mir meine damalige Partnerin geraten hatte. Ich fühlte mich darin sehr sexy, aber als ich mich dann auf Fotos sah, habe ich mich geschämt, weil das nicht sexy war, sondern nur komisch aussah …

Das, wofür man sich schämt, wird geheim gehalten, um andere zu schützen, um sie nicht der Notwendigkeit auszusetzen, sich mit bestimmten unangenehmen Dingen oder Gefühlen beschäftigen zu müssen. Aber auch, um sich selbst zu schützen. Um ein bestimmtes Bild von sich aufrecht zu erhalten, um nicht verachtet zu werden.

Wenn man sich jemandem anvertraut, liefert man sich aus und es besteht immer die Gefahr, eine kritische oder abwertende Reaktion zu bekommen.

Darum schweigen viele über das, wofür sie sich schämen,

weil sie diese Gefahr als zu groß empfinden. Sich selbst erzählt man die Geschichte aber dann ununterbrochen. Darum bezeichnet der Neurologe Cyrulnik Scham als Gift, und die pausenlose innere Wiederholung als eine Art „Grundrauschen“. Du kennst das sicherlich selbst in Form des Inneren Kritikers, der sich demütigend und herabsetzend verhält.

Introviertierte Menschen, denen es schwer fällt, sich auszudrücken, haben es schwer. Sie fühlen sich erniedrigt, herabgesetzt, unterlegen, weniger wert als der andere, dem sie von vornherein zuschreiben, dass er eine schlechte Meinung von ihnen hat. Das eigene Schweigen führt zu Enttäuschung über sich selbst und hält wiederum die Scham lebendig.

caleb woods VZILDYoqn U unsplashEine Hypersensitivität kann durch äußere Faktoren verstärkt werden.

Vulnerabilität entsteht vor allen Dingen, wenn es schon Erregungszustände, desorganisierte Bindungen, Trennungsängste usw. gibt. Zusätzliche emotionale Belastungen können dann nicht mehr verarbeitet werden.

Wenn ein Säugling keine Sicherheit erlebt, weil er nicht genügend Zuwendung bekommt, besitzt eine Scham-Demütigung von einem nahestehenden Menschen eine besonders zerstörerische Kraft.  Dies führt zur Ausbildung bestimmter Emotions- und Verhaltensweisen.

Dann ist nicht mehr feststellbar,

ob das Trauma von außen oder innen kommt.

Dies erzeugt eine Erschütterung, ein Gefühl von Wertlosigkeit, eine Vernichtung des Selbstgefühls und der Verlust des Gefühls, unverwundbar zu sein.

Diese Entwicklung kann schleichend oder auch nicht sein, das Kind wird dadurch

überempfindlich für alles, was ihn beschämen könnte.

Jede Art von Beziehung wird dann unmöglich.

Es kann z. B. vorkommen, dass Kinder statt Zuneigung Geringschätzung erfahren oder Zurückweisungen, auch auf subtiler Ebene.

Das erzeugt bei dem Kind eine große Verletzlichkeit.

Der ungarische Psychoanalytiker Imre Hermann ist der Meinung, dass Scham entsteht, wenn das Kind den Kontakt zu der Mutter verliert. Es braucht die Basis der mütterlichen Sicherheit, sonst fühlt es sich herabgewürdigt, weniger als andere.  So verliert ein Kind, das in seiner seelischen Entwicklung nicht richtig unterstützt wird, das Vertrauen in sich selbst und fühlt sich

nach Begegnungen mit anderen Menschen niedergeschlagen.

Die Vorstellung, die das Kind sich von sich selbst macht aufgrund der bisherigen Beziehungserfahrungen bringt es dazu, von anderen nichts Gutes zu erwarten. Für andere empfindet es Angst und Wut und für sich selbst eine Kombination aus Scham und Verachtung.

Als ich das gelesen habe, habe ich plötzlich verstanden, dass mir genau das passiert ist früher. Und ich glaube, dies hat eine Rolle in fast all meinen Beziehungen gespielt!

Es gibt

ganz unterschiedliche Gründe für Scham:

  • Gesellschaftliche Gründe
  • Kulturelle Gründe
  • Familiäre Gründe z. B. Ablehnung. Es ist auch möglich, dass Eltern ihre Scham auf ihre Kinder übertragen.

Interessant ist dabei, dass bei den beiden ersten die Ursachen für Scham sich durchaus ändern können, weil die Werte und Annahmen einer Gesellschaft sich ändern können. Früher waren uneheliche Kinder ein Grund für Scham, heute nimmt niemand mehr daran Anstoß.

Es gibt natürlich auch Strategien zur Schambewältigung:

Grundsätzlich alles, was man tun kann, um sich in den Augen der anderen aufzuwerten.

Ehrgeiz und Erfolg können z. B. dazu dienen, ein Siegerbild von sich zu inszenieren.

Manche Menschen flüchten sich in Träume oder Lügen, weil ihnen das den Stolz zurückgibt. Ich musste sofort an eine frühere Klassenkameradin denken, die das Blaue vom Himmel heruntergelogen hat. Was waren wir empört, als wir herausfanden, dass dies alles nicht wahr war. Natürlich haben wir damals nicht verstanden, dass dies ein Weg war, sich besser zu fühlen, der unangenehmen Realität etwas entgegenzusetzen …

Scham ist nicht unheilbar, es gibt die Möglichkeit, auf etwas, dessen man sich geschämt hat, Stolz zu entwickeln und

die Scham so hinter sich zu lassen.

Bei alledem die Entwicklung eigener Herzwerte ungemein förderlich. Und klopfen sowieso.

Ich hatte vor relativ kurzer Zeit ein wunderbares Erlebnis im Bezug auf Scham. Dabei muss ich vorausschicken, dass Scham bei mir oft etwas damit zu tun hatte, dass ich mich geschämt habe dafür, dass andere Menschen sehen können, dass ich jemandem nicht wichtig bin oder nicht wichtig genug. Dieses Gefühl war sehr tief- und weitreichend und kam häufig zum Tragen, z. B. wenn mich jemand warten ließ.

Nun stand ich vor kurzem irgendwo und war verabredet. Und meine Verabredung erschien  nicht. Erschien einfach nicht. 30 Minuten stand ich in der Fußgängerzone meines Viertels herum. Ich bekam nur den AB ans Telefon. Ich stand da und stand da und beobachtete die Leute und irgendwann habe ich gedacht: „Oh wow, ich bin ja ganz gelassen!“ Und da wurde mir klar, dass in mir ein totaler Shift stattgefunden hat.

Früher wäre ich ausgeflippt darüber.

Der Tag wäre gelaufen gewesen. Die Fußgängerzone ist sehr klein und ich war sichtbar für alle, die gerade dort ihre Einkäufe erledigen. Und jeder konnte sehen, dass ich offensichtlich versetzt worden war! Früher hätte ich mich dafür unendlich geschämt. (Übrigens beruhte letzten Endes alles auf einem Missverständnis und nicht auf Missachtung!) Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie unglaublich glücklich ich darüber war, als mir klar wurde, dass sich diese Scham verändert hat. Und wir hatten dann doch noch einen schönen Nachmittag zusammen.

Wie ist es mit dir? Ist Scham auch ein Thema für dich? Ich freue mich, wenn du meinen Blog kommentierst, weiterverteilst usw.

Von Herzen,

monika richrath eft fuer hochsensible

 

Image by Zichrini from Pixabay 

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Monika Richrath
Ich bin Monika Richrath, Mentorin und Coach für EFT (Klopfakupressur). Seit 2012 schreibe ich hier sehr PERSÖNLICH über die Themen, Hochsensibilität, Gesundheit, Psychologie, EFT und (Entwicklungs)Trauma.

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Ich bin Monika Richrath, Mentorin und Coach für EFT (Klopfakupressur). Seit 2012 schreibe ich hier sehr PERSÖNLICH über die Themen, Hochsensibilität, Gesundheit, Psychologie, EFT und (Entwicklungs)Trauma.

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