Was Erstarrung (Freeze) mit Hochsensibilität, Stress und Trauma zu tun hat

Selbst geschrieben und selbst erdacht :-))

Fight Flight Freeze

von Monika Richrath

28. Februar 2021

Eine sehr kleine Begebenheit hat mich zu ziemlich weitreichenden Erkenntnissen über Stress, Erstarrung, Hochsensibilität und Trauma geführt:

Endlich darf ich an den Schalter. Ich reiche dem Postbeamten mein federleichtes Päckchen. „Wollen Sie einen Nachweis? Dann müssen Sie es als Paket verschicken.“

als paket verschicken

Image by Mohamed Hassan from Pixabay

Ich erstarre.

Eine ganze Kaskade von Gedanken und Emotionen prasselt auf mich ein, aus denen sich zwei herauskristallisieren. Eigentlich weiß ich, dass ein Nachweis erforderlich ist. Aber andererseits gibt es diesen Teil von mir. Dieser Teil ist vollkommen empört. 7,95 € soll ein Paket kosten, das nicht einmal 100 Gramm wiegt. Dabei ist es noch nicht einmal mein eigenes Päckchen, ich stehe hier für jemand anderen. Es kann mir eigentlich egal sein. Trotzdem komme ich nicht über meine Empörung hinweg. Zeit vergeht. Der Postbeamte wird langsam ungeduldig.

Ich muss mich entscheiden!

Schließlich gewinnt mein persönliches Wertesystem die Oberhand. Ich entscheide mich gegen den Nachweis. Das war natürlich noch nicht das Ende der Geschichte. Aber ich habe durch diese kleine Episode  neue Aspekte meiner Hochsensibilität entdeckt. Die Hochsensibilität habe ich erst vor relativ kurzer Zeit neu vor definiert als Hochsensitivität, gepaart mit belastenden, traumatischen Kindheitserfahrungen: mehr dazu findest du in diesem Artikel.

Jedenfalls ist mir erst durch dieses Erlebnis klar geworden wie sehr

mein Leben durch Reaktionen der Erstarrung geprägt ist.

Wie häufig das im Alltag vorkommt und wie verstörend das im Grunde genommen ist.

Um überleben zu können, haben Reptilien, Säugetiere und Menschen (die ja auch zu den Säugetieren zählen), drei verschiedene Verhaltensmuster:

Angriff, Flucht oder Erstarrung (Fight Flight Freeze)

die uns vielleicht aus dem Tierreich bekannt sind.

flucht angriff erstarrungAuf Immobilität (auch tonische Immobilität TI) genannt, wird erst zurückgegriffen, wenn die anderen Strategien von vornherein aussichtslos erscheinen.

Vermutlich hast du selbst schon einmal in einem Tierfilm gesehen, dass sich z. B. eine Gazelle einfach tot stellt, wenn sie weiß, dass sie der Verfolgung durch eine Löwin nicht entkommen kann.  Für die Gazelle macht das

biologisch und evolutionär gesehen Sinn,

weil es ihre Überlebenschancen erhöht.

Es kann z. B. sein, dass der Angreifer oder Verfolger davon absieht, das sich totstellende Tier zu fressen, weil einfach seine Angriffslust gedämpft wird oder er vor einem regungslosen Tier zurückschreckt. Es gibt dem Tier die Chance, sich später vielleicht doch noch mal davonzumachen.

Die Regungslosigkeit macht das sich totstellende Tier weniger sichtbar, wordurch die Chancen zu überleben steigen.

Es nützt der ganzen Gruppe, weil es vielleicht durch die Ablenkung zum Überleben der Gruppe beiträgt.

Außerdem löst das sich Totstellen einen

veränderten Bewusstseinszustand tiefer BetäubungTrauma zustand

aus. Dies beruht auf der Freisetzung von schmerzstillenden Hormonen, den Endorphinen. Dieser veränderte Bewusstseinszustand ist es, der

eine Dissoziation ermöglicht,

in der man die Situation erlebt, als wäre man jemand anderer, z. B. indem man alles von außerhalb betrachtet. Dies gehört also zu den Körperreaktion, die uns schützen.

Es ist weniger bekannt, wie sehr die Immobilitätsreaktion

die Entstehung und Behandlung von Trauma

beeinflusst.

Peter Levine beschreibt in seinem Buch Sprache ohne Worte* die folgenden Elemente unserer Überlebensstrategie:

  • erhöhte Wachsamkeit
  • Innehalten (um die Umgebungsbedingungen zu überprüfen)
  • Flucht (als erste Reaktion)
  • Kampf (wenn die Flucht nicht möglich ist)
  • Erstarren (vor Schreck und Angst) und
  • Zusammenbrechen (Kollabieren vor Hilfslosigkeit).

Dies bedeutet: das

wirklich wichtige Element eines Traumas

ist es, dass wir auf der einen Seite sehr verängstigt sind und auf der anderen Seite daran gehindert werden, uns zu bewegen, wozu auch das Gefühl gehört, in der Falle zu sitzen. Dies ist

der Moment der Erstarrung und/oder Überforderung.

Wenn wir erstarren, versteifen sich unsere Muskeln. Aber wenn wir uns auf einer existentiellen Ebene bedroht fühlen, also Todesangst ausstehen, kollabieren die Muskeln, werden sie vollkommen kraftlos. Es ist möglich, dass ein solcher Zustand sich chronifiziert und man dann im Leben allgemein

nicht genug Energie hat,

aktiv etwas in dem eigenen Leben zu verändern.

Dies liegt daran, dass Dissoziation trotz des Schutzes, den sie uns bieten soll, einen echten „Haken“ hat. Nämlich den, dass die Dissoziation nicht automatisch nach Beenden der stressauslösenden Situation zwangsläufig verschwindet. Vielmehr kann sie in einen chronischen Zustand übergehen. Offenbar ist sie auch verbunden mit einer ganzen Reihe psychosomatischer Symptome. Peter Levine zählt dazu die Unfähigkeit, wirklich in der Gegenwart zu leben. Die körperliche Lähmung mag verschwinden,

Depression, Zurückgezogenheit und Betäubtheit

können zurückbleiben. Es kann sein, dass wir im Alltag so einigermaßen funktionieren, aber nur mit halber Kraft. Die Lebensfreude bleibt dabei allerdings auf der Strecke.

Für mich war die kleine Post-Episode überhaus erhellend. Eine Zeitlang habe ich mich im Alltag beobachtet und war äußerst erstaunt, wie häufig ich in diese Situationen gerate. Und auch, wie elementar sich die Erfahrungen auf einer tiefen Bewusstseinsebene anfühlen.

Letzten Endes kam die Erkenntnis, dass für mich

die Situationen der Erstarrung mit anderen Menschen zusammenhängen.

Das muss aber nicht zwangsläufig so sein, es können sicherlich auch Tiere oder Naturereignisse, Unfälle oder sonstiges mit im Spiel sein.

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass für hochsensible Menschen hauptsächlich soziale Kontakte davon betroffen sind. Belastende Lebensumstände in der Kindheit haben häufig ein Entwicklungstrauma zur Folge. Und ein Entwicklugnstrauma ist immer auch ein Bindungstrauma.

Noch etwas habe ich in den vergangenen Monaten gelernt: wir leben zwar in einer weitgehend technisierten Welt,

emotional ticken wir Menschen trotzdem noch nach dem Steinzeit-Bauplan.

Was bedeutet, dass Ablehnung und/oder Ausschluss aus einer Gruppe für uns absolut existentiell sind. Der Körper begreift dies als akute tödliche Bedrohung. Früher hat der Ausstoß aus dem Stamm bedeutet: ich kann alleine nicht überleben.

Für mich ist es so, dass ich häufig in Erstarrung falle, wenn

ich befürchte, abgelehnt  zu werden,

mit dem was und wie ich bin oder was und wie ich etwas mache. Interessanterweise betrifft dies ausschließlich mein Privatleben, mein Berufsleben ist davon überhaupt nicht betroffen. Es kommt z. B.  immer wieder mal vor, dass Menschen mich beschimpfen. Es ist mir natürlich nicht egal, aber in der Regel erhole ich mich ziemlich schnell davon.

Eine Zeitlang war ich recht erschrocken, wie häufig ich in solche Situtionen gerate. Jetzt ist das aber schon wieder vorbei. Es hilft mir sehr mich in Sachen

Trauma als Forschungsreise zu betrachten.

Ich sehe etwas und untersuche es gründlich. Dann lege ich es in das Kästchen meiner Fundstücke. Alles, was ich dort ablege, verändert sich dann allmählich, wird weniger traurig oder schrecklich. Es gehört einfach zu mir. Jetzt kann ich mich wieder anderen Dingen zuwenden, die ich für untersuchenswert halte.

Kennst dieses Phänomen auch? Wie immer freue ich mich, wenn du mir schreibst.

Von Herzen,

monika richrath eft fuer hochsensible

 

 

 

 

P.S. Wenn du noch mehr darüber wissen willst, empfehle ich dir meinen Blog Artikel Was bei Trauma im Gehirn passiert. Es ist natürlich auch eine Gelegenheit, dich auf meinen kostenlosen Mini-Kurs zum Loswerden von Überforderung hinzuweisen.

Image by Gerd Altmann from Pixabay (Beitragsbild)

Image by mohamed Hassan from Pixabay 

author avatar
Monika Richrath
Ich bin Monika Richrath, Mentorin und Coach für EFT (Klopfakupressur). Seit 2012 schreibe ich hier sehr PERSÖNLICH über die Themen, Hochsensibilität, Gesundheit, Psychologie, EFT und (Entwicklungs)Trauma.

Über mich

Monika Richrath

Ich bin Monika Richrath, Mentorin und Coach für EFT (Klopfakupressur). Seit 2012 schreibe ich hier sehr PERSÖNLICH über die Themen, Hochsensibilität, Gesundheit, Psychologie, EFT und (Entwicklungs)Trauma.

Vielleicht gefällt dir auch

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

de_DEDeutsch