7 Unterschiede – Traumatisierung oder Hochsensibilität

7 Unterschiede – Traumatisierung oder Hochsensibilität

Es gibt zwei Arten der Hochsensibilität …

  • Die eine ist genetisch bedingt und angeboren. Die „echte Hochsensibilität“. Diese ist nicht ablegbar genau wie die Augenfarbe.
  • Die zweite entsteht durch Traumatisierung. Die erhöhte Sinneswahrnehmung und auch der Hang zur Überreizung gehen zurück, wenn das Trauma verarbeitet ist.

Eine These, die zurzeit im Internet grassiert, besagt, die Hochsensibilität sei immer auf ein Trauma zurückzuführen ist. Einige meiner Seminarteilnehmer sind dadurch sehr verunsichert und suchen nach einem Trauma, wo eventuell gar keins ist.

Gleichzeitig ist diese These, wenn man sich genau mit Hochsensibilität auseinandergesetzt hat genauso nahe liegend – aber falsch. Warum? In vielen Aspekten haben die Hochsensibilität und die Auswirkungen von Traumatisierungen das gleiche Gesicht.

Das Modell des Stresstoleranzfensters erklärt die Zusammenhänge

Jeder Mensch hat eine emotionale Komfortzone. Wie groß diese Komfortzone ist, hängt zu einem großen Teil von unserer Fähigkeit der Selbstregulation ab. Also davon, wie gut wir mit Über- oder Unterstimulation umgehen können. Schaffen wir es nicht, uns bei Überstimulation zu regulieren, läuft unsere Hormonproduktion auf Hochtouren und unser Körper reagiert mit Flucht oder Kampfimpulsen.

Beispiel: Wenn ich im Winter dick angezogen in ein Kaufhaus gehe, wird es mir sehr schnell unerträglich warm. Einfach die dicken Sachen ausziehen, ist nicht immer möglich, wenn ich schon einiges an Taschen trage. Ich fange an zu schwitzen, es fängt überall an zu jucken und meine Kleidung fühlt sich tonnenschwer an. Da ich in diesem Geschäft unbedingt etwas besorgen will, bleibt mir im Moment nur, die Situation auszuhalten. Ich habe also subjektiv nicht die Möglichkeit mein Unbehagen zu regulieren. Es dauert keine 5 Minuten und meine Adrenalinproduktion ist in Gang gesetzt. Da ich mir die Flucht verwehrt habe, komme ich in den Kampfimpuls. Besser, wenn man mir dann nicht in die Quere kommt.

In diesem Moment ist meine Komfortzone überschritten und ich rase in die Übererregung. Komme ich dann wieder in angenehmere Gefilde dauert es ungefähr 5 Minuten, und ich habe mich akklimatisiert. Nach meiner Erfahrung benötigt ein traumatisierter Mensch wesentlich länger um sich zu beruhigen.

Hochsensible haben genetisch bedingt ein schmaleres Stresstoleranzfenster, damit sie schneller auf Reize reagieren können. Dies dient zur Erhaltung der Art und findet sich auch bei allen höheren Säugetieren. Auch bei Ihnen sind, wie beim Menschen, ca. 20 Prozent hochsensibel.

Auch traumatisierte Menschen haben ein schmaleres Stresstoleranzfenster und gelangen leicht in die in die Über- oder Untererregung. Gleichzeitig gibt es große Unterschiede zwischen „reinen“ Hochsensiblen und traumatisierten Menschen. Selbstverständlich kann auch ein hochsensibler Mensch traumatisiert sein. In vielen Fällen ist das so. Dazu später mehr.

Es ist immens wichtig als Therapeut beides unterscheiden zu können, da der (reine) Hochsensible und der traumatisierte Mensch ein anderes therapeutisches Vorgehen benötigen. Hier kann Unwissenheit viel Schaden anrichten.

Ich habe 2007 meine erste Trauma Ausbildung gemacht. Seitdem habe ich mich sehr intensiv mit Trauma und Hochsensibilität auseinandergesetzt. Folgende Unterschiede resultieren aus meinen Beobachtungen und Erfahrungen.

 

Traumatisierte Menschen:

 

Hochsensible Menschen:

sind oftmals permanent in Bewegung. Sie tun alles, um nicht zur Ruhe zu kommen, da das für sie ein unangenehmer Zustand ist. Häufig werden sie im Urlaub krank, weil der Organismus dann kollabiert und er von der Übererregung in die Untererregung rauscht. suchen die Ruhe. Sie brauchen Zeit, gerne auch allein, ohne Input. Diese Zeiten genießen sie. Wenn sie diese Zeiten nicht bekommen, fühlen sie sich unbehaglich. Durch „Auszeiten“ kommen sie wieder in ihre Kraft.
haben eher eine egozentrische Empathie, die darauf abscannt, ob Gefahr droht. Das hält andere eher auf Distanz. haben „echte“ Empathie, durch die sich andere gesehen und verstanden fühlen.
haben oft wenig bis gar kein Körpergefühl. Sie können Köperempfindungen nur schwer wahrnehmen und benennen. haben ein extrem gutes Körpergefühl. Sie haben ein ausgeprägtes körperliches Frühwarnsystem. Hochsensible Frauen können oft Ihren Eisprung spüren und viele schildern, dass sie den Zeitpunkt der Eiverschmelzung gespürt haben und wussten, dass sie nun schwanger sind. Sie nehmen sehr differenziert Empfindungen wahr und können diese auch benennen.
neigen zur Selbstmedikation zur Beruhigung; zum Beispiel durch Alkohol oder Medikamente. tendieren eher dazu, sogar ärztlich verschriebene Medikamente nicht zu nehmen und trinken häufig gar keinen oder nur wenig Alkohol.
fühlen sich häufig allein (zum Teil auch in Gesellschaft) mit einem Gefühl der Einsamkeit. sind gerne allein, weil sie dann besser zu sich kommen.
nehmen ihr “Bauchgefühl“ nicht wahr. nehmen ihr Bauchgefühl wahr, aber leider nicht immer ernst.
Wenn Sie noch mehr Unterscheidungsmerkmale wissen möchten klicken Sie hier:

 

Das waren nur einige der Merkmale, woran man Hochsensibilität und Trauma unterscheiden kann. In den Situationen, in denen die Komfortzohne verlassen wird, sind die Reaktionen identisch.

Die Hochsensibilität führt dazu, dass das Stresstoleranzfenster schneller verlassen wird als bei Normalsensiblen. Das ist mit den Auswirkungen einer Traumatisierung deckungsgleich.

In über 200 Seminaren zur Hochsensibilität wiederholte sich die grundlegende Teilnehmerstruktur immer wieder.
Ein Teil der Teilnehmer sind Hochsensible, die einfach Interesse daran haben mehr über sich zu erfahren (auch eine typische Eigenschaft der Hochsensiblen). Außerdem möchten Sie einige Dinge in ihrem Leben optimieren. Sie sind mit ihrem Leben und ihrem Sein generell zu frieden.

Ein Teil hat Schwierigkeiten mit einigen Herausforderungen, die die Hochsensibilität bietet, führen aber generell ein befriedigendes, glückliches Leben.

Und ein Teil leidet sehr stark unter der Hochsensibilität. Bei diesen Menschen ist eine Traumatisierung sehr wahrscheinlich. In dieser Gruppe finden sich Hochsensible und Normalsensible, die Ihre Trauma-Auswirkungen fälschlich als Hochsensibilität interpretieren oder von anderen diese Interpretation erhalten haben.

Was genau ist ein Trauma?

Es gibt verschiedene Arten von Trauma. Auf zwei gehe ich hier näher ein.

Das Schocktrauma

ist das allgemein geläufige Trauma. Hier gab es eine einmalige Situation, zum Beispiel einen Unfall als Auslöser.

Die Negativerfahrung ist im Gehirn gespeichert. Unser Organismus möchte uns nun vor weiteren Erfahrungen dieser Art schützen und geht hormonell auf „Hab-Acht-Stellung“. Die Folge ist eine innere Wachheit, die sich häufig in Unruhe und Anspannung, und eine erhöhte Reaktion auf Sinnesreize zeigt. Gibt es dann später einen Reiz, der an diese Situation erinnert (Trigger), werden wir emotional aus dem Stresstoleranzfenster geschleudert und reagieren mit heftigen Angriff/Flucht-Reaktionen (Der Sympathikus wird aktiviert. Das Stresstoleranzfenster wird überschritten) oder wir kollabieren (Der Parasympathikus wird aktiviert, wir gehen nervlich unter das Stresstoleranzfenster).

Nach der Verarbeitung des Traumas gehen die Betroffenen wieder auf ihr ursprüngliches Erregungs- und Sinneswahrnehmungsniveau zurück.

Das Entwicklungstrauma oder auch Komplextrauma

Hier ist der Betroffene wiederholt durch toxischen Stress überfordert. Das Vorderhirn und der Hippocampus schalten sich ab und wir reagieren instinktiv mit archaischen Verteidigungsreaktionen. Das Entwicklungstrauma konkretisiert eigentlich den Begriff des Komplextraumas, da es sich speziell auf unsere Erfahrungen im frühen Kindesalter bezieht.

  • Wie werden wir erzogen?
  • Was prägt uns in dieser Zeit?
  • Wie ist die Bindung zu den Bezugspersonen?

Gerade wenn wir im ersten Lebensjahr mit ständigen negativen Erfahrungen aufwachsen, erleben wir das als toxischen Stress. Dieser Stress hat in der Regel ein Entwicklungstrauma zur Folge.

Toxischer Stress kann entstehen durch:

  • Gewalterfahrungen, psychischer und physischer Art.
  • Überbehütung
  • Erziehung zur Angst (die Welt da draußen ist schlecht, nur hier bist du sicher)
  • Zwanghaftes Umfeld
  • Sehr rigide Erziehung
  • Verwahrlosung
  • Permanente Grenzüberschreitung
  • Fehlendes Spiegeln der kindlichen Wahrnehmung und der kindlichen Gefühle
  • Keine Unterstützung der Stressregulation durch die Eltern (z.B. das Baby schreien lassen)
  • Fehlender Kontakt – körperlich und emotional. Viele Menschen können sich nicht mehr angemessen mit ihrem Kind

beschäftigen. Ihnen fehlen selbst die entsprechenden Erfahrungen.

Erziehung ist ein Abbild aus unseren Erfahrungen und Möglichkeiten.

Unsere Erziehung ist immer noch geprägt aus den Vorstellungen des dritten Reiches. Babys sollte man schreien lassen, damit sie lernen sich selbst zu regulieren und den Eltern nicht auf der Nase rumtanzen. Die damals propagierte Erziehung war eine Anleitung zur Bindungsunterbrechung und damit zur frühkindlichen Traumatisierung.

Leider halten sich einige extrem schädigende Ehrziehungsvorstellungen bis heute noch hartnäckig. Eltern, die Ihre Kinder wie oben genannt behandeln, tun das nicht, weil Ihnen ihre Kinder egal sind. Sie selbst sind geprägt von ihrer eigenen Geschichte, ihren Bindungserfahrungen und ihrem Wissen. Viele sind selbst traumatisiert. Jeder erzieht nach seinen Möglichkeiten. Bei einigen sind diese Möglichkeiten einfach begrenzt.

Das kann ein tröstender Gedanke sein. Das Handeln meiner Eltern ging nicht gegen mich, sie konnten es nicht besser. Und auch wenn man selbst erzieht, kann dieser Gedanke entlastend sein. Die meisten Hochsensiblen wollen gerne alles richtigmachen. „Fehler“ in der Erziehung machen ihnen oft sehr zu schaffen. Auch das Kind braucht Erfahrungen, an denen es wachsen kann. Es ist wichtig zu erleben, dass die Eltern nicht unfehlbar sind. So kann es die eigene Unfehlbarkeit besser annehmen. Ist ein Elternteil traumatisiert, wird das Trauma häufig an das Kind weitergegeben. Um das zu verhindern, ist es meines Erachtens wichtig das Trauma zu bearbeiten.

Wo sehen sie sich nach diesem Text? Hochsensibel, traumatisiert oder beides? Geht die Tendenz in Richtung Trauma?
Ein Trauma ohne Unterstützung aufzulösen, ist kaum möglich. Hier braucht es kompetente Unterstützung; für ein zufriedenes, glückliches Leben. Leider ist gerade das Annehmen von Hilfe für viele traumatisierte Menschen sehr schwer.

Hochsensibilität und Trauma zusammengefasst:

  • Es gibt Hochsensible, „nur“ traumatisierte und hochsensible, traumatisierte Menschen.
  • Leiden sie sehr stark unter der Hochsensibilität, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie traumatisiert sind groß.
  • Viele Hochsensible sind „nur“ traumatisiert. Sie sind durch das Trauma übersensibilisiert, aber nicht hochsensibel im eigentlichen Sinne.
  • Man unterscheidet zwischen Schock- und Entwicklungstrauma.
  • Um Traumatisierungen aufzulösen, braucht es kompetente therapeutische Unterstützung.

Dies ist nur ein kleiner Einblick in ein sehr komplexes Thema. Ich schreibe gerade ein Buch über das Thema Hochsensibilität und Trauma. Es wird Ende des Jahres erscheinen.

Des Weiteren werde ich ein entsprechendes Onlineseminar anbieten. Vielleicht haben Sie ja auch Interesse, noch mehr über das Thema zu erfahren.

Ich wünsche Ihnen alles, was sie für ein befriedigendes und glückliches Leben brauchen. Es ist nicht immer einfach, aber es ist machbar. Gönnen Sie sich Zeit.

Herzliche Grüße
Sandra Quedenbaum

Sandra Quedenbaum

Sandra Quedenbaum

Sandra Quedenbaum Coaching

Erzieherin Sozialpädagogin Heilpraktikerin für Psychotherapie. NLP-Lehrtrainerin Systemische Familienberaterin Marte Meo Therapeutin iEMDR Coach
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